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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.04.2001
Aktenzeichen: 9 TG 844/01
Rechtsgebiete: AuslG, VwZG


Vorschriften:

AuslG § 72 Abs. 1
AuslG § 12 Abs. 2 S. 2
VwZG § 15 Abs. 5 S. 1
Die Mitwirkungspflichten eines Ausländers nach dem AuslG bedingen nicht eine Verminderung der Ermittlungspflichten der Behörde nach dem VwZG.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

9 TG 844/01

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch

Richter am Hess. VGH Igstadt als Vorsitzenden, Richter am Hess. VGH Dr. Fischer, Richter am Hess. VGH Mogk

am 24. April 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 8. Februar 2001 (Az.: 13 G 516/01 <3>) mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass dem Widerspruch des Antragstellers vom 5. Dezember 2000 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 22. Juni 1999 aufschiebende Wirkung zukommt.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

Die vom Senat mit Beschluss vom 22. März 2001 (9 TZ 682/01) zugelassene Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig und begründet. Die Vorinstanz hat es zu Unrecht abgelehnt, festzustellen, dass dem Widerspruch des Antragstellers vom 5. Dezember 2000 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 22. Juni 1999, in welcher die dem Antragsteller am 4. März 1998 befristet bis zum 15. Februar 2001 erteilte Aufenthaltsgenehmigung gemäß § 12 Abs. 2 AuslG nachträglich zeitlich bis zum 19. August 1999 beschränkt wurde, aufschiebende Wirkung zukommt.

Bei der Verfügung vom 22. Juni 1999 handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Der gegen einen derartigen Verwaltungsakt eingelegte Widerspruch hat grundsätzlich nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt hier nicht gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, da dies weder durch Bundesgesetz noch durch Landesgesetz vorgeschrieben ist. Insbesondere die Bestimmung des § 72 Abs. 1 AuslG findet auf die nachträgliche zeitliche Beschränkung einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG keine Anwendung. Ferner ist die aufschiebende Wirkung auch nicht nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entfallen. Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der Verfügung nicht angeordnet.

Beachtet die Behörde eine solche aufschiebende Wirkung nicht, so kommt zwar eine Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht in Betracht. Es entspricht aber allgemeiner Meinung, dass der von dem Verwaltungsakt Beschwerte in diesem Falle die Feststellung erstreiten kann, dass dem von ihm eingelegten Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt. Denn wenn der Antragsteller bei angeordneter sofortiger Vollziehung die Möglichkeit hat, hiergegen nach § 80 Abs. 5 VwGO um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen, muss dies erst Recht gelten, wenn die Behörde davon ausgeht, dass ihr Bescheid auch ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung im Ergebnis sofort vollziehbar ist (vgl. hierzu Hess. VGH, Beschluss vom 29. August 1986 - 2 TH 1569/86 -, NVwZ-RR 1988, 124).

Dem Antragsteller fehlt es für sein Begehren, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 22. Juni 1999 festzustellen, auch nicht am notwendigen Rechtsschutzinteresse. Einem gerichtlichen Antrag mangelt es an diesem notwendigen Rechtsschutzinteresse, wenn sich für den Antragsteller auch bei Erfolg seines Rechtsbehelfs keine rechtlichen und tatsächlichen Vorteile ergeben und sich die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb als nutzlos darstellt (vgl. beispielsweise: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. November 1991 - 11 S 1157/91 -, NVwZ 1992, 702; Hess. VGH, Beschluss vom 20. Februar 1995 - 12 TH 2253/94 -, InfAuslR 1995, 200, m.w.N.; Beschluss vom 19. Februar 1997 - 13 TG 257/97 -).

An diesem Rechtsschutzinteresse mangelt es dem Antragsteller nicht deshalb, weil am 15. Februar 2001 auch die ursprüngliche Befristung der ihm am 4. März 1998 erteilten Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist und damit die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis zum 19. November 1999, wie sie in der angefochtenen Verfügung ausgesprochen wurde, gegenstandslos wäre. Zwar ist die Aufenthaltserlaubnis durch Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer unabhängig von der streitgegenständlichen nachträglichen zeitlichen Beschränkung im Sinne des § 44 Abs. 1 AuslG erloschen. Die rechtliche Wirkung der nachträglichen zeitlichen Beschränkung der Aufenthaltsgenehmigung erschöpft sich jedoch nicht allein in dem Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung, ohne dass damit weitere unmittelbare Folgen verbunden wären. Vielmehr führt die nachträgliche zeitliche Beschränkung der dem Antragsteller befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis, die - nach Ansicht der Antragsgegnerin - vollziehbar ist, zum Entstehen einer vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 42 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative AuslG, so dass die angefochtene Verfügung Grundlage der dem Antragsteller angedrohten Abschiebung ist (§ 49 Abs. 1 AuslG).

Das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der Durchführung dieses Verfahrens ist auch nicht dadurch entfallen, dass der Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis ebenfalls - gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG - zum Eintritt einer vollziehbaren Ausreisepflicht geführt hätte. Nach dieser Bestimmung ist die Ausreisepflicht vollziehbar, wenn der nach § 42 Abs. 1 AuslG ausreisepflichtige Ausländer nach Ablauf der Geltungsdauer seiner Aufenthaltsgenehmigung noch nicht die Verlängerung oder die Erteilung einer anderen Aufenthaltsgenehmigung beantragt hat. Da der Antragsteller vor Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis mit Schreiben vom 2. Februar 2001 einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gestellt hat, begründet der Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis mithin zwar ebenfalls gemäß § 42 Abs. 1 AuslG die Ausreisepflicht. Diese ist allerdings nicht nach § 42 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG vollziehbar.

Der Antrag, festzustellen, dass der Widerspruch des Antragstellers vom 5. Dezember 2000 gegen die ausländerbehördliche Verfügung vom 22. Juni 1999 aufschiebende Wirkung hat, ist auch in der Sache begründet.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs scheitert nicht daran, dass dieser verfristet wäre. Das Verwaltungsgericht hat insoweit rechtsfehlerhaft angenommen, der Antragsteller habe die einmonatige Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO versäumt. Diese Frist begann nämlich nicht schon - wie das Verwaltungsgericht meint - "im August des Jahres 1999" zu laufen, sondern frühestens am 28. November 2000, weil nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragstellers er erst an diesem Tage die Verfügung erhalten hat (vgl. § 9 Abs. 1 VwZG). Die zuvor versuchte Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung war fehlerhaft und vermochte deshalb die Widerspruchsfrist nicht in Lauf zu setzen.

Die Voraussetzungen für eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung lagen nicht vor. Nach § 1 Abs. 1 HessVwZG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 a VwZG kann durch öffentliche Bekanntmachung unter anderem dann zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist. Hierfür genügt es nicht, dass der Aufenthaltsort lediglich der betreffenden Behörde nicht bekannt ist; er muss vielmehr allgemein unbekannt sein. Deshalb ist die Behörde zu gründlichen und sachdienlichen Aufklärungsbemühungen verpflichtet (vgl. hierzu Hess. VGH, Beschluss vom 29. November 1988 - 12 D 6221/88 - sowie neuerdings OVG Hamburg, Beschluss vom 10. Oktober 2000 - 3 Bs 289/00 -, InfAuslR 2001, 136, m. w. N.). Nach § 15 Abs. 5 Satz 1 VwZG soll ein Suchvermerk im Bundeszentralregister niedergelegt und auch geeignete Nachforschungen angestellt werden, soweit der Verwaltungsaufwand im Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zu den Erfolgsaussichten steht.

Den vorgenannten Anforderungen ist die Antragsgegnerin nicht nachgekommen. Ausweislich des Akteninhalts hat sie am 23. Juni 1999 dem Antragsteller eine Anhörungsmitteilung nach § 28 HVwVfG an die Adresse "Mörfelder Landstraße 202" in Frankfurt am Main übersandt. Dieses Schreiben kam mit dem Vermerk "unbekannt" zurück. Daraufhin wurde offenbar am 6. Juli 1999 die Ehefrau des Antragstellers vom Ordnungsamt aufgesucht, die zum damaligen Zeitpunkt noch unter der Adresse "Mörfelder Landstraße 202" wohnhaft war. Insoweit befindet sich auf Blatt 159 der Verwaltungsakte der Vermerk "nach Angaben der Ehefrau nicht mehr wohnhaft". Von diesem Sachverhalt wurde ausweislich Blatt 165 der Verwaltungsakte die Zentrale Meldestelle in Kenntnis gesetzt, die sodann dem Ordnungsamt am 19. Juli 1999 mitteilte, dass der Antragsteller zum 9. Juli 1999 von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet worden sei. Anschließend wurde am 22. Juli 1999 die öffentliche Zustellung der nachträglichen Beschränkung der Aufenthaltsgenehmigung veranlasst.

Aus dem Verwaltungsvorgang wird nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin die Ehefrau des Antragstellers nach dessen neuen Wohnsitz befragt hat. Auch die Ehefrau des Antragstellers bestätigt in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 20. Februar 2001, dass es unterblieben sei, sie nach dem Aufenthaltsort ihres Ehemannes zu befragen. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der von der Ehefrau des Antragstellers abgegebenen eidesstattlichen Versicherung zu zweifeln, zumal die Antragsgegnerin den darin abgegebenen Behauptungen nicht entgegengetreten ist.

Die Antragsgegnerin hat somit die ihr nach § 15 Abs. 5 Satz 1 VwZG abzuverlangenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht annähernd ausgeschöpft. Dies führt zur Fehlerhaftigkeit der Zustellung, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die pflichtwidrig unterlassene Befragung der Ehefrau zum Erfolg geführt hätte. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Ehefrau des Antragstellers in der eidesstattlichen Versicherung vom 20. Februar 2001 angibt, dass sie im Falle der Befragung durch die Antragsgegnerin ohne weiteres die damalige Anschrift des Antragstellers hätte nennen können.

Der Senat sieht auch keinerlei Anlass, die sich aus § 15 Abs. 5 VwZG ergebenden Ermittlungspflichten im Hinblick auf die Mitwirkungspflichten eines Ausländers gemäß § 70 AuslG zu vermindern.

Im Übrigen bestehen ferner aus folgenden Gründen Zweifel an der Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung: Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 VwZG ist das zuzustellende Schriftstück auszuhängen. Da das Schriftstück, das keine Ladung enthält, als an dem Tage zugestellt gilt, an dem seit dem Tage des Aushanges zwei Wochen verstrichen sind (§ 15 Abs. 3 Satz 2 VwZG), hat es während der gesamten Dauer dieses Zeitraums auszuhängen. Der Tag des Aushängens und der Tag der Abnahme sind von dem zuständigen Bediensteten auf dem Schriftstück zu vermerken (§ 15 Abs. 3 Satz 3 VwZG). Werden der Tag des Aushängens und der Tag der Abnahme nicht gemäß § 15 Abs. 3 Satz 3 VwZG von dem zuständigen Beamten auf dem ausgehängten Schriftstück vermerkt, ist die öffentliche Zustellung nicht wirksam (vgl. Engelhardt/Apt, Verwaltungsvollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz, § 15 VwZG, Anmerkung 3 d). Auf der ausgehängten Verfügung vom 22. Juli 1999 ist folgender Vermerk enthalten: "Öffentliche Zustellung Zum Aushang am: 30.07.1999 Öffentlich zugestellt vom 02.08.99 bis 16.08.99 Stadt Frankfurt am Main Hauptamt den 17.08.99". Aus diesem Vermerk vermag der Senat nicht ohne weiteres zu erkennen, an welchem Tag das Schriftstück ausgehängt wurde und welches der Tag der Abnahme war.

Da die Antragsgegnerin unterlegen ist, hat sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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